Frag 10 Menschen und du wirst mindestens 12 unterschiedliche Antworten erhalten. Meine Antwort ist:
Die Herausforderung besteht darin, dass die Phase dazwischen für alle Beteiligten ziemlich anstrengend ist. Wenn das Alte nicht mehr gilt und das Neue noch nicht da ist. Wir stochern im Nebel der Ungewissheit.
Dieses Dilemma konstruktiv zu gestalten, das ist in meinem Verständnis Change Management. Und ich nenne diese Tätigkeit: Veränderungsregie.
Betrachte die Ungewissheit.
1. Die Teile und das Ganze - Inspiration
Denke jetzt nicht an einen rosa Elefanten. Reg dich nicht auf. Guck nicht so grimmig. Nicht lächeln. Und? Klappt nicht!
Unser Gehirn kennt das Wort NICHT nicht. Sobald wir versuchen einen Aspekt zu negieren, mogelt er sich durch die Hintertür wieder rein. So verhält es sich auch mit der Ungewissheit.
Wenn wir so tun, als ob die geplante Veränderung ohne Ungewissheit auskommen könnte, schaffen wir diese dadurch erst. Tun aber so, als würde es sie nicht geben. So verstärken wir die Ungewissheit und kehren sie gleichzeitig unter den Teppich. Und zack ... beißt sich die Katze in den Schwanz und stolpert dabei auch noch über die Huckel im Teppich. Stell dir das ruhig bildlich vor ;)
Verwirrend? Ja! Realistisch? Tooootaaaaal! Kontraproduktiv? Auch! Also lass das lieber.
Verusch es mal so
Liebe Leute, wir werden einiges verändern. Und es wird ungewiss. Aber wir müssen Entscheidungen treffen, sonst beißen wir uns wie die sprichwörtliche Katze in den Schwanz und drehen uns im Teufelskreis. Lasst uns jetzt mal alle Aspekte sammeln, die mit Ungewissheit einher gehen könnten. Wo wird das Alte aufhören und das Neue beginnen? Und dann schauen wir mal gemeinsam, ob sich dort ein Roter Faden herausbildet. Daran werden wir uns bei unseren Entscheidungen orientieren.
Möglicherweise denkst du dir: Ja klar. Wenn ich das sage versteht mich doch niemand. Dann sind alle verwirrt und halten mich für verrückt.
Genau so ist es auch. Herzlich willkommen in der Welt der Veränderungsregie. Der erste Schritt besteht darin, die Ungewissheit anzuerkennen.
Wenn es nicht ungewiss wäre, würdest du lediglich Vorhandenes reproduzieren. Das wäre genau so, wie kalten Kaffee aufzuwärmen. Das schmeckt doch nicht!
Also, dein erster Schritt: Entscheide dich für die Ungewissheit.
Sammle die Teile, die mit Ungewissheit verbunden sind. Achte darauf, die Aspekte möglichst neutral zu formulieren. Also, statt nervige Kunden einfach nur Kunden. Statt miese Umsätze einfach nur Umsätze. Erkenne den Roten Faden, er sorgt für die Orientierung und bildet das Ganze, das die Teile ordnet. Das ist das Ziel, für die nächste Phase in deiner Organisationsentwicklung.
Was lässt dich fliegen und was erdet?
2. Dynamik und Stabilität - Konzentration
So. Die Teile sind gesammelt.
Alle total überrascht: Boah, wie viele Aspekte das doch sind.
Einbisschen Stolz spielt auch mit rein: Wow, das alles haben wir bedacht.
Den Respekt nicht zu vergessen: Oh man, das wird ein Stückchen Arbeit werden.
Dieser Umgang mit der unvermeidlichen Ungewissheit ist eine perfekte Basis für das zweite Blickfeld. Jetzt wird es erneut spannend.
Jede Entwicklung funktioniert dadurch, dass es genau zwei Arten von Bewegung gibt: Nach oben und nach unten.
Die Bewegung nach oben ist die Dynamik. Alles, was nach BÄÄÄÄM schreit, wenn du daran denkst: Dein einzigartiges Produkt, deine Begeisterung für Bienen, zufriedene Kunden, innovative Gedanken, die 500.000 Follower (to be continued). BÄM halt.
Die Bewegung nach unten ist die Stabilität. Alles, was das Gefühl von Erdung und Gelassenheit versprüht: schlanke Prozesse, stimmige Schnittstellen, routinierte Abläufe, klare Aufgaben, bewusste Rollen, zielorientierte Kennzahlen ... ach ... soo gut.
Überraschung: Du brauchst beide Bewegungen im Gleichgewicht.
Ohne die Stabilität dreht die Dynamik in deiner Veränderung durch. Der Begriff operative Hektik fällt mir in dem Zusammenhang ein. Alle sind wie verrückt am wuseln, und tun wichtige Dinge aber irgendwie kommt nix bei raus.
Ohne die Dynamik in deiner Veränderung schläft die Stabilität ein. Ein passender Begriff dafür wäre Selbstverwaltung oder Selbstzweck. Wir organisieren uns, um uns zu organisieren. Gäääääääähn.
Dein zweiter Schritt: Entscheide dich für die Bewegung.
- Du ahnst es bereits: Fang an, deine Teil den beiden Bewegungen zu zu ordnen. Wichtig ist dabei, eine klare Zuordnung vorzunehmen. Sonst tappst du wieder in die Falle mit der Katze und dem Schwanz, weil du vor lauter Ungewissheit keine Entscheidung triffst.
- Sortiere innerhalb der Kategorie nun nach Funktionseinheiten und such Überschriften dafür.
- Definiere ein bis zwei zentrale Erfolgsfaktoren für die Funktionseinheiten. Das sind die Elemente, die über das Gelingen in dieser Einheit entscheiden.
Wie könnte das Neue funktionieren?
3. Funktion und Form - Organisation
Super, das Chaos der einzelnen Teile aus dem ersten Blickfeld hast du erfolgreich sortiert und in dynamische und stabilisierende Funktionseinheiten verpackt.
Jetzt wird es zum dritten Mal spannend. Du reduzierst weiter die Komplexität und Unsicherheit, indem du Entscheidungen triffst.
From follows function. Eine oft zitierte Aussage. Eine großartige Aussage. Eine weitreichende Aussage für deine Veränderung.
Die Form und die Funktion des Neuen sind nämlich nicht von einander zu trennen. Müssen aber getrennt benannt werden. Denn: Die Form des Neuen muss sich an der Funktion orientieren!
Mein Lieblingsbeispiel zur Verdeutlichung von Funktion und Form kommt aus dem Bereich der Beziehungskisten. Mal angenommen: Du möchtest eine Beziehung. Sie soll dir ermöglichen, maximale Freiheit zu leben. Ähm ... ja, probiere diesen Gedanken mitzugehen. Maximale Wahlfreiheit in Bezug auf wo du schläfst, was du isst, welchen Film du schaust, wo du lebst und mit wem du das alles machst. Und jedem wird klar, die klassische Ehe ist dazu nicht die richtige Form. Du willst das alles aber nicht allein erleben? Dann brauchst du eine andere Form für deine Beziehung. Übrigens nebenbei, ist das der Grund warum so viele Beziehungen zerbrechen:
Die Funktion ändert sich mit der Zeit, aber die Form wird nicht angepasst. Gilt für alle Beziehungen.
Ok, kommen wir wieder zurück zu deiner Veränderung.
Der zentrale Gedanke hier ist zu überlegen: Welche Funktion soll das Neue erfüllen? Dann ist daraus die Form abzuleiten: Wie lässt sich diese greifbar machen?
Und das fällt uns häufig so schwer. Wir haben es andersherum gelernt.
Wir beginnen bedauerlicherweise mit der Form: Setze diese Aufgabe um, erstelle einen Prozess, ruf den Kunden an, bau diesen Ofen ... lerne alle Flüsse in Deutschland auswendig und die Hauptstädte an denen sie vorbei fließen.
Wenn wir aber etwas Neues lernen, entwicklen oder gestalten wollen, kommen wir ohne die Funktion nicht aus. Das ist der Sinn und Zweck. Wieder Überraschung: Du brauchst beide. Und sie sollten zusammen passen.
Puh, das klingt kompliziert. Ist es aber nicht. Dein dritter Schritt: Entscheide dich für eine Funktion für das Neue.
Dazu nimmst du einfach die zentralen Erfolgsfaktoren aus den Funktionseinheiten, die du im ersten Schritt definiert hast. Für jeden Erfolgsfaktor stellst du dir dir folgenden Fragen und beantwortest diese auch.
- Welche Funktion erfüllt dieser Aspekt? Was ist der Sinn und Zweck?
- In welcher Form wird dieser Sinn und Zweck am besten sichtbar, erlebbar, erlernbar und umsetzbar?
Bestücke deinen Werkzeugkasten für das Neue.
4. Strategie und Werkzeug - Realisation
Sicherlich hast du dich schon gefragt, wann es so richtig los geht. Jetzt wird es praktisch!
Die Basis für deine unerschütterliche Überzeugungskraft für das Neue ist gelegt:
- Du hast den klaren Blick auf alle relevanten Aspekte der Veränderung. Yeah!
- Du hast die zentralen Erfolgsfaktoren im Blick, damit Begeisterung und die Leitplanken ermöglicht werden. Bäm!
- Du hast dich für eine eindeutige Funktion entschieden, die jeder einzelne Erfolgsfaktor erfüllt. Daraus hast du die passende Form entwickelt. Check!
Jetzt darf das Neue in die Umsetzung gelangen. Wird ja auch Zeit. In diesem Schritt kannst du dein gesamtes Know-how im Projektmanagement entfalten.
Oder du machst es dir einfach und gehst den vierten Schritt: Entscheide dich für Werkzeuge.
Hier ist es hilfreich, die einzelnen Formen aus dem dritten Schritt ins Blickfeld zu rücken. Nimm das Produkt, die Aufgabe, den Prozess und arbeite dafür das Werkzeug aus. Für das Produkt könnte eine Ausstellungsfläche das Werkzeug sein, oder ein Webauftritt. Die Aufgabe könnte mit einer Checkliste als Werkzeug in die Tat umgesetzt werden. Der neue Prozess könnte mit dem Werkzeug Warenwirtschaftssystem in die Umsetzung gelangen. Was auch immer es wird, das Werkzeug muss das Ganze aus dem ersten Blickfeld schrittweise ermöglichen.
Die Art, wie du die Werkzeuge in deinem Werkzeugkasten anordnest, mündet in der Strategie. Hier überlegst du dir, wie die einzelnen Werkzeuge sich gegenseitig ergänzen. Du schaust dir an, wie durch dieses Zusammenspiel sich die dynamischen und stabilisierenden Aspekte gegenseitig aktivieren und welcher Weg zum Neuen somit entsteht.
Es könnte sein, dass du dir in diesem Schritt unerwartet verloren vorkommst. Obwohl du dich die ganze Zeit schon auf die praktische, konkrete und alltagstaugliche Übersetzung gefreut hast. Und jetzt stehst du da wie der erste Mensch auf der Welt.
Keine Panik. Das ist häufig so. Ich nenne dieses Phänomen die Praxisparalyse. Die kommt immer dann, wenn wir was Neues gestalten. So, als wären wir der erste Mensch auf der Welt ;)
Überprüfe deine Annahmen
5. Intuition und Rationalität - Integration
Wow. Du hast ganz schön viel geschafft! Du hast schrittweise die Ungewissheit bewältigt indem du glasklare Entscheidungen getroffen hast. Dieser letzte Schritt dient nun dazu, die Werkzeuge für deinen Wandel zu verankern.
Schau dir die bisherigen Ergebnisse an. Welche Gedanken und Gefühle entstehen in dir wenn du an die Umsetzung denkst? Sind auf einmal Überzeugungen präsent, die limitierend oder einschränkend wirken? Was sagt dein Bauchgefühl? Was sagt die Erfahrung? Welche rationalen und sachlichen Argumente für (naja ... eigentlich meinstens gegen) deinen wunderbaren Plan melden sich? Nimm sie alle auf.
Das ist nämlich der letzte Schritt in diesem Modell: Entscheide dich Kopf und Bauch zusammen zu bringen.
Nimm jeden Einwand ernst, jedoch in der Gewissheit, dass du in diesem Moment keinen einzelnen davon entkräften musst.
Das Ziel in diesem Blickfeld ist, jedem Einwand in der Struktur einen Platz zu geben. Zu welchem Zeitpunkt, an welchem Meilenstein, bei welchen Produkten, Aufgaben oder Prozessschritten ist dieser Aspekt ein wichtiger Indikator? Idealerweise legst du den Aspekt auch noch in die Verantwortung des jeweiligen Menschen.
Beispiel: Jemand birgt den folgenden Einwand. Bis jetzt war es immer so, dass Max Mustermann alles in der Kommunikation abgenickt hat. Hat gesagt, er trägt alles mit, wie es entschieden wird. Und wenn es dann so weit war, es umzusetzen, hat er einen Grund gefunden, dass es nicht geklappt hat. Und dann kam sein Standardsatz: Hab ich's doch gewusst!
Diesen Einwand gilt es in der Struktur zu verankern. Denn es kann ja sein, dass Max Mustermann es wirklich gewusst hat. Die Aufgabe wäre in dem Fall, Max und seinen Einwand einzubinden. Ungefähr so:
Hej Max, es kam schon so oft vor, dass Dinge nicht geklappt haben, und du es vorher wusstest. Wann wäre aus deiner Sicht der passende Moment das zu überprüfen und mit welchem von den erarbeiteten Werkzeugen?
Zack, das Ding wird als Aufgabe im Kalender terminiert und von Max verantwortet. So kommen Bauch und Kopf zusammen. Nicht nur bei Max Mustermann, sondern bei allen Menschen. Schau, was sich meldet, nimm es ernst und gib ihm einen Platz.
Vorhang auf für dein Change Management!
So könnte deine Veränderung klappen. In fünf Schritten überbrückst du die Kluft der Unsicherheit zwischen dem was nicht mehr ist und dem, was noch nicht ist.
Wichtig ist, klar und fokussiert im einzelnen Blickfeld zu bleiben. Es ist so verlockend, in der ersten Phase schon alle Einwände der fünften Phase vorweg zunehmen. Im selben Maße ist es aber auch kontraproduktiv. Das führt dazu, dass wir keine Entscheidung treffen und uns im Kreis drehen.
Geh mutig deinen Weg und bleibe klar in der Ausrichtung der Blickfelder:
- Betrachte das Ungewisse.
- Was lässt dich fliegen, und was erdet?
- Wie könnte das Neue funktionieren?
- Bestücke deinen Werkzeugkasten für das Neue.
- Überprüfe deine Annahmen.